Hof Brachland – Demeter-Obstbau-Betrieb im Zürcher Oberland

Auf Hof Brachland im Zürcher Oberland baut Jürg Raths Beeren und Obst intensiv und eingebunden in ein vielfältiges Ökosystem an. Auf einen wetterbedingten Zusammenbruch der Anlage folgt der Wiederaufbau mit neuen Ideen.

Umgestürtzte Hagelnetze

Bei meinem Besuch Anfang Mai ist ziemlich genau ein Jahr vergangen, seit viel Schnee seine zu dem Zeitpunkt mit Hagelnetzen abgedeckte Intensivanlage zum Einsturz brachte. Nachdem ein erster Pfahl gebrochen war, legte sich die ganze Anlage über die Beerensträucher, Kern- und Steinobstbäume. Jürg Raths traute seinen Augen kaum, als er die Arbeit der letzten 12 Jahre am Boden liegen sah. Die 3-4 m hohen Pfähle, Brombeeren, Himbeeren, Johannisbeeren, Stachelbeeren, Jostabeeren, Apfel-, Kirsch-, Zwetschgen-, Mirabellen- und Birnbäume – alles umgestürzt.

Was nun? Aufhören? Den aktuell ausgeschriebenen Job im Dorf annehmen? Verzweifeln? All diese Jahre mit den Pflanzen einfach abhaken?

Vielfältige Solidarität

Es war die Erfahrung grosser Solidarität, die Jürg Raths schnell wieder sicher sein liess, dass er weiterhin Beeren- und Obstbauer sein und sich als solcher weiterentwickeln möchte. Eine Zeitung berichtete, Tele Züri stand bald vor der Tür, andere Medienberichte folgten. Ein Spendenkonto wurde eingerichtet und nur zwei Tage nach dem Unglück vom 28. April kamen 25 Helfer auf den Hof und packten an, um das Chaos aus Pfählen, Plastik, Drähten und Pflanzen zu entwirren. Am 1. Mai waren nochmals 15 Helfer da und nach diesen beiden Einsätzen lichtete sich das Chaos langsam. Auf dem Spendenkonto sind bis dato 35‘000 CHF zusammengekommen und die Versicherung hat den versicherten Teil per Saldo aller Ansprüche bezahlt, das heisst Jürg Raths hätte das Versicherungsgeld auch ohne Wiederaufbau bekommen. Ein grosser Teil der Kosten des Wiederaufbaus und der Ernteeinbussen konnten gedeckt werden.

Jürgen Raths neben wieder aufgerichtetem Kirschbaum

Aber an eine Ernte war in 2017 kaum zu denken. Genau sechs Pflaumen, einen grossen Korb voller Äpfel und etwa ein Drittel der normalen Heidelbeerernte gab es. Doch Schritt für Schritt baute Jürg Raths mit Hilfe seiner Familie, vieler freiwilliger Helfer und der Praktikanten die Anlage wieder auf. Der Anlagenbauer hat die maschinellen Arbeiten erledigt. Wo möglich wurde altes noch intaktes Material verwendet. All das brauchte Zeit. Erst im Dezember wurden die 10-jährigen Kirschbäume mit der Seilwinde aufgerichtet. Heute stehen sie – schräg angelehnt an Pfosten und mit einem Seil am oberen Draht der Anlage angebunden – in voller Blüte. Wie die Bäume sich zukünftig entwickeln, steht noch in den Sternen, doch der Lebenswille, den sie zeigen, ist immens.

Vom Lehrbuch zur Experimentierfreude

Diese Aussage trifft auch auf des Obstbauern landwirtschaftliche Motivation zu.

„Ich habe mich nach der Zerstörung der Anlage ein zweites Mal bewusst dafür entschieden, Beeren- und Obstbauer zu sein. Und gehe jetzt sehr motiviert an das neue Anbaujahr heran, mit vielen Ideen, wie ich meine Anbaumethoden noch verbessern kann.“

Intuitive, regenerative Landwirtschaft nennt er seine Herangehensweise. Mit Betonung auf Wirtschaft, denn Jürg Raths ist überzeugt davon, den Boden erst gut bewirten zu müssen, um dann sein „Trinkgeld“ in Form einer gesunden Ernte zu erhalten.

Angefangen hat Jürg den intensiven Beeren- und Obst-Anbau vor über 10 Jahren, zunächst gemäss den Lehrbüchern des Biolandbaus. Dazu gehörte auch, dass er jährlich Hummeln bestellte, um die Befruchtung der Beeren sicherzustellen. Im speziellen Klima unter den Plastikabdeckungen fühlten sich diese gegen Herbst dann gar nicht mehr wohl und mussten recht vermilbt entsorgt werden. Dieses Vorgehen widerstrebte Jürg. Sowieso hatte Familie Raths-Fuster das Ziel, die gesamte Fläche von 2,5 Hektar zu reökologisieren. Gemeinsam mit seiner Frau begann Jürg, gezielt Lebensräume für Nützlinge zu schaffen und die Pflanzen- und Tiervielfalt auf dem Gelände zu fördern. Steingefüllte Gruben mit Asthaufen darüber für den Mauswiesel und viele Kleintiere, klassische Hecken und solche mit Wildobst für die Vielfalt, aber auch als Windschutz und für das Mikroklima; Unterwuchs zulassen etc. Die schwarze Folie um die Beeren verschwand und unter dem Grasschnitt und dem Unterwuchs begann das vernachlässigte Bodenleben sich wieder zu regenerieren. Hummeln und Wildbienen sind in rund 30 Wildbienenhotels eingezogen und leben jetzt auf dem Gelände. Sie finden viele kleine Schlupflöcher, in denen sie überwintern können, und ertragen die Bedingungen unter den Plastikabdeckungen deutlich besser als ihre per Post gereisten Kolleginnen.

Beeren, Obst und Gemüse

Um den Boden zu bedecken und die Beerenpflanzen zu düngen, setzt Jürg Raths Grasschnitt ein. Er verteilt das Gras frisch auf die Dämme bzw. fräst es an ihren Rändern ein. Zugleich verteilt er Milchsäure, EM, Hornmist-Heu oder Komposttee, um die Ausgasung zu verringern. Möglichst rasch soll der Stickstoff von den Bodenlebewesen gebunden werden, damit er in den Boden kommt und den Pflanzen zur Verfügung steht. Auch um Krankheiten vorzubeugen oder sie zu behandeln, setzt Raths auf Pflanzenpräparate. Bei sichtbarem Stickstoffmangel bringt er eine Walwurz-Brennnessel-Jauche aus. Diese wohlriechende Jauche wird hergestellt, indem die beiden Kräuter – gebrochen und dann etwas gestampft – in ein Fass mit Wasser und EM gegeben werden; ein Deckel, der zwar Luft hinaus, aber nicht mehr neue hinein lässt, kommt oben drauf. Anaerobe Gärprozesse kommen in Gang. Nach ein bis zwei Wochen ist die Jauche fertig und kann via Bewässerung auf die Dämme gebracht werden.

Pflanzenpartnerschaften

Beeren und Knoblauchrauke

Jürg Raths lässt einen gewissen Bewuchs der Dämme mit Wildpflanzen zu und setzt auch selber bewusst Kräuter und Gemüse ein, um die Gesundheit der Beeren zu fördern. Knoblauch oder Schaftzwiebeln sind auf allen Dämmen zu sehen. Sie stehen dort wegen ihrer fungiziden Wirkung. Jürg erntet fortlaufend Schnittknoblauch und -zwiebeln. So wird der Bewuchs in Grenzen gehalten und die Pflanzen kommen jedes Jahr von selber wieder. Mit anderem Gemüse wie Randen, Radiesli, Rüebli und Salat experimentiert Jürg ebenfalls, um die Vielfalt zu erhöhen und die Fläche intensiver zu nutzen. Entscheidend sei, dass das Gemüse nicht zum Feuchtigkeitsfänger werde oder den Beeren Nährstoffe abziehe. Der Unterwuchs darf ganz allgemein nicht zu hoch werden. Knoblauchsrauke und Meerrettich müssen durch Schnitt oder auch mal Ausreissen im Zaum gehalten werden. „Milchpflanzen wie Salate, Schöllkraut oder Löwenzahn können helfen, dem Mangel an pflanzenverfügbarem Bor in unserem Boden entgegenzuwirken. Sehr willkommen ist uns auch das Scharbockskraut. Im Frühling bedeckt es den Boden schnell und fällt dann später von selber wieder zusammen.“

Manche Weiterentwicklungen auf dem Hof sind aus der Kooperation mit Matthias Hollenstein von „SlowGrow – Regenerative Landwirtschaft“ entstanden. Dieser war Lehrling auf dem Hof Brachland und hat so einige Male gefunden, dass man dies oder jenes doch auch mal anders probieren könnte. Sein Lehrmeister liess sich inspirieren und so probierten sie gemeinsam viele neue Wege aus. „Nach der Ernte unserer Kulturen ist der Boden besser als vor der Saat“, lautet die Devise von Brachland und SlowGrow.

Auch in Bezug auf Schädlinge geht Jürg den Weg des funktionierenden Ökosystems. Er hat die Erfahrung gemacht, wenn eine Brombeerpflanze so stark von Läusen befallen ist, dass sie ihr Wachstum einstellt, dann dauert es eine Woche bis zehn Tage, bis Marienkäfer ankommen, sich vermehren und die Läuse fressen. Zwei Wochen später wächst die Brombeere wieder. „Bei Kirschen und Zwetschgen finde ich ein paar Läuse häufig gut. Die Triebe des Steinobstes wachsen so schnell, da ist eine kleine Bremse durch die Läuse hilfreich.“

Vielfältige Schlupflöcher

Wie lange dauert es, bis das Nützlings-Schädlings-Verhältnis in Balance ist? Bis man es wagen kann, auf die klassischen Mittel der Schädlings- und Krankheitsbekämpfung zu verzichten? Das sei abhängig vom jeweiligen Zustand des Anbauortes, aber selbst aus einer Monokultur könne, wenn man sich traue, in 3-4 Jahren ein lebendiger Ort werden, an dem das Ökosystem zu funktionieren beginnt.

„Lange habe ich meine Anlage auch zu sehr aufgeräumt. Dann haben Nützlinge zu wenig Unterschlüpfe. Vor allem die Bestäuber brauchen attraktive Orte, um zu kommen und zu bleiben.“

Partnerhof des Bodenfruchtbarkeitsfonds

Der Hof Brachland ist seit kurzem Partnerhof des Bodenfruchtbarkeitsfonds der Bio-Stiftung Schweiz. Dieser Fonds ermöglicht es Landwirten, unabhängig von wirtschaftlichen Zwängen Ideen, die sie im Bereich Verbesserung der Bodenfruchtbarkeit haben, auszuprobieren, und zwar ohne Beweislast im Sinne von so und so viel Humus wurde aufgebaut. Das Projekt läuft zunächst mal für drei Jahre; beteiligt sind Betriebe in der Schweiz, in Deutschland und in Österreich. Diese formulieren jährliche Ziele und Massnahmen.

Jürg Raths möchte seine eigene Flächenkompostierung weiterentwickeln; hierzu gehört sowohl der Umbau von Maschinen, die es ihm dann ermöglichen, in einem Gang zu fräsen und EM oder Milchsäure auszubringen, als auch das Ausprobieren einer Flächenkompostierung mit Hilfe von Pilzsubstrat. Dieses Abfallprodukt aus der ökologischen Pilzzucht wird mit Holzschnitzelnoder Holzspänen vermischt direkt neben den Beerendämmen ausgebracht und soll ein gutes Bodenumfeld schaffen und die Beerenpflanzen ohne viel Aufwand mit den nötigen Nährstoffen versorgen. Ziel ist es herauszufinden, ob die Düngeleistung ausreichend ist und der Boden via Mycelisierung so verbessert wird, dass beispielsweise Wurzelkrankheiten bei den Himbeeren zukünftig kein Thema mehr sein werden. Dieses Substrat passt mit seinem leichten Säuregehalt für die aus dem Wald kommenden Beeren sehr gut. Jürg nimmt eine Grabgabel und kehrt ein Stück Substrat um. Es wimmelt nur so von Kompostwürmern in feinkrümeliger, feuchter Erde. Sie scheinen das Pilzsubstrat zu lieben. Jeweils im Frühjahr und im Herbst sollen Substrat und Holzschnitzelzwischen Hügel und Fläche eingearbeitet und dann mit Gründüngung besät werden. Eventuell reicht die Bearbeitung mit der seitlich offenen Streifenfräse, um diesen Flächenkompost auf die Dämme zu bewegen, sonst müsste noch mit Scheiben nachgeholfen werden.

Vermarktung vor Ort

Bei der Vermarktung und für einzelne Versuche arbeiten Matthias Hollenstein und Jürg Raths heute noch zusammen. Die meisten Beeren und das andere Obst gehen an Bioläden und Direktvermarkter in der Region. Für Jürg ist die regionale Vermarktung die einzig passende. „Aus prinzipiellen Gründen und auch weil es ja gar nicht möglich ist, diese besonders gute Qualität über den Grosshandel zu vermarkten.“

Vom Verkauf der Beeren und Obstsorten allein kann er mit seiner Intensivanlage mit 0,7 ha allerdings nicht leben. Zwei Tage die Woche leitet er eine Waldspielgruppe; seine Partnerin arbeitet zusätzlich zur Organisation des Haushalts mit vier Kindern und vielen Helfern 50% auswärts als Hauswirtschaftslehrerin. Vom Hof selber gibt es zusätzlich noch Einkommen via Vermietung von Tipis, Organisieren von Kursangeboten im Zusammenhang mit Tipi oder Landwirtschaft, durch Ferien und Schule auf dem Bauernhof sowie diverse Gruppenlager. Das Fleisch der Wollschweine wird als Mischpakete oder als Spanferkel verkauft, oder wie Kartoffeln und Gemüse für die Deckung des Eigenbedarfs genutzt. Der Anteil des Betriebseinkommens aus der Vermarktung von Beeren, Obst, Wildobst und Gemüse beträgt aktuell 40% und soll noch wachsen.

Helfende Hände

Momentan tragen zwei Praktikanten, junge Landwirtschaftsstudenten aus der Ukraine, und ein Netzwerk von freiwilligen Helfern dazu bei, dass die Arbeiten draussen gemacht werden. Jürg Raths Eltern helfen trotz hohem Alter bei den ganzen vielen Dingen des Alltags: Werkzeuge reparieren, Mittagessen kochen, Hausaufgabenhilfe, Gemüse ansäen, spontanes Einspringen, wenn Not am Mann bzw. an der Frau ist. Der älteste Sohn hat seine Ausbildung als Metallbauer schon fertig und ist Spezialist, wenn es darum geht, Maschinen oder Geräte zu reparieren, umzubauen oder gar zu entwickeln. Der zweite lernt Gartenbauer und ist sehr interessiert; er macht viel mit, wenn er daheim ist. Auch die beiden jüngeren Söhne haben ihre Bereiche, in denen sie gerne mal mitanpacken. Der Hof Brachland ist ein Familienprojekt – da machen alle mit, damit es wächst und gedeiht und der alte Traum von einem kleinen Paradies, von dem es sich auch leben lässt, wahr sein kann.

Die geistigen Zusammenhänge und der Gedanke der Beseeltheit der Natur sind Familie Raths-Fuster wichtig. „Wir liessen das Grundstück geomantisch untersuchen, haben einen Teil unseres Landes für den Heilkräutergarten „Anandamalaya“ vermietet, zelebrieren Jahreszeitenfeste, beherbergen Ritualchöre und akustische Tanzveranstaltungen sowie neu auch schamanische Reinigungshüttenzeremonien.“ All diese Bestrebungen sollen einer ganzheitlichen, nachhaltigen Entwicklung des Umfelds dienen und die geistige und materielle Qualität des Erntegutes steigern.

Sonja Korspeter

Artikel erschienen in Kultur und Politik 2/2018 (hier als pdf)

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Hof Brachland
Zürcher Oberland
Jürg (49) und Gabriela Raths-Fuster (45)
Zwei Praktikanten und freiwillige Erntehelfer
3 ha
Demeter
Biobeeren-, Stein- und Kernobst-Intensivanlage (0,7 ha)

100 Hochstammobstbäume alter Obstsorten

Fruchttragendes Wildobst
Wollschweine
550 m ü. M.
Schule auf dem Bauernhof

Tipi und Platzvermietung für Kindergeburtstag bis Schullager

Feste mit Livemusik und Spanferkel
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